Es ist eigentlich wie bei einem Trainingslager. Nach einem Tag voller körperlicher Anstrengung willst Du eines am nächsten Morgen ganz bestimmt nicht: dich bewegen. Mein Team, das mich motivieren könnte, besteht aus zwei Minderjährigen, die gepflastert werden wollen und einem Gleichaltrigen, der von mir getaped wird. Wir sind ja eine Truppe…. Der Dauerregen und das heftige Gewitter, die bis zur Frühstückszeit andauern, verhindern einen frühen Start in den Tag ebenso wie die Hotelregelung, dass es das Frühstück erst ab 8 Uhr gibt. Das verleitet leider zur Trödelei und so starten wir erst um 9:30 Uhr zu unserer heutigen Etappe.
Wir haben unser Gepäck erleichtert und Rei in der Tube und das Shampoo im Hotel „vergessen“. Ich habe von Wanderern gehört, die sogar den Stiel der Zahnbürste abschneiden, um Gewicht zu sparen.
Was wirklich schön ist: wir können direkt vom Hotel den Berg hinauf wandern, schlängeln uns also durch enge Gassen des kleinen Ortes und erreichen nahtlos den steilen Waldweg, dem gefolgt werden soll.
In der Ferne sehen wir zwei Türme, die heute ein Zwischenziel für uns sein werden.
Wie schon gestern, legen die beiden Jüngsten ein unglaubliches Tempo vor, während ich gefühlt hinterherschleiche. Ich versuche mich in solchen Momenten irgendwie selbst zu motivieren (das ist „eine Extra-Konditionseinheit“, „gut für den Geist“, „schön für die Figur“) oder spiele gedanklich imaginäre Wettläufe durch, die ich keinesfalls als Letzte absolvieren möchte.
Der Weg ist steinig, ja und auch schwer. Doch nach Musik ist mir irgendwie nicht zumute. Wir kraxeln geradezu den Berg hinauf.
„Papa, gibt es hier Bären?“ – „Ja ….. Brombeeren.“ Tata, tata. „Flachwitz, ne? Aber für einen kurzen Moment haben alle gelächelt.“
“Schaut mal: eine Weinbergschnecke!“ Die Jungs kommen ein Stück zurück und betrachten neugierig das gemütliche Tier. „Können wir die Hülle mal abnehmen?“ fragt der Tierfreund, der es eigentlich besser wissen müsste. „NEIN! Die ist festgewachsen.“
Durch den verdunstenden Regen und die warme Luft fühlt es sich an wie in einem subtropischen Dschungel. Die Suppe läuft nur so herunter.
Der Weg wird schmaler, nur eben so breit, dass eine Person Platz hat. Dazu der rutschige Untergrund vom Regen. Ich verteile mal wieder Bergwanderregeln. „An der Bergseite bitte gehen! Jeder konzentriert sich auf seinen Tritt! Nicht ständig umdrehen! Hintereinander, nicht nebeneinander gehen!“
“Was mir viel mehr Sorgen macht, ist das Gewitter!“ Der Mann spricht aus, was ich die ganze Zeit schon denke. Das Rumoren im Rücken ist beunruhigend. Noch scheint es weit genug weg, aber in den Bergen weiß man ja nie. Wir sind inzwischen auf 500 Meter Höhe gewandert, da fängt es erst leicht und dann immer stärker an zu regnen. Ich fordere einen kurzen Halt ein, damit wir die Rucksack-Überzieher, unsere Regenjacken und den Kindern die Capes überwerfen können. „Das ist doch jetzt nicht wichtig, wir müssen schnell weiter!“ Da donnert es genau über uns.
Jetzt nicht hektisch und unruhig werden. Jeder ein Kind genommen und so zügig, wie es der Weg hergibt, weitergegangen. Immer mit dem gedanklichen Abwägen „was machen wir jetzt?“ Während des eiligen Schrittes diskutieren wir unsere Möglichkeiten, der Wanderführer immer mit Blick auf die digitale Karte, um irgendeinen Schutz ausfindig zu machen. In 500 Metern müsste ein Gebäude sein, kurz davor wird ebenfalls „irgendetwas“ angezeigt. Vor ca. 15 Minuten haben wir den Schutzunterstand eines Jägers passiert. Vor? Zurück? Jetzt poltert es ganz schön und in der Ferne haben wir es schon blitzen sehen.
Wir müssen ein Geröllfeld überqueren. Dahinter findet sich eine Art Versorgungsbunker, dessen betonierter Eingang einen halben Meter Überstand und somit ein bisschen Schutz bietet. Da laufen wir hin. Klatschnass bis auf die Knochen wollen wir erstmal durchatmen, um einen klaren Gedanken zu fassen, was wir nun tun. Der Älteste schlägt vor, dass er schauen geht, wie weit es bis zur Burg ist. NEIN!!! Regel Nummer zwei: niemals in den Bergen trennen. Dieses Erlebnis hatten wir doch wohl schon mal. Wir verharren auf einem Quadratmeter und gehen Gewitter-in-den-Bergen-Regeln durch, die wir vermeintlich wissen.
Nicht allzu weit entfernt müsste der Kreideturm sein, der uns schon mal Schutz bieten könnte. Wir sahen ihn ganz am Anfang aus weiter Ferne.
Nach einer Viertelstunde entscheiden wir, im leichten Laufschritt so schnell wie möglich zu dieser Burg zu kommen. Es dürfte eigentlich nicht mehr weit sein. Und es ist völlig egal, dass jeder Schritt uns schmutzig und nass macht. Die Kinder gehen zwischendurch leicht gebückt, was bei ihrer Körpergröße eigentlich nicht nötig ist. Ein steiler, asphaltierter Weg führt uns die letzten 200 Meter hoch. Ich zeige auf zwei Ziegen, die an einer Stallwand gekauert stehen und meine: „Das ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn sich die Tiere Schutz suchen.“ Der Wanderführer zeigt auf einen Bock, der etwas abseits im Freien genüsslich an der Rinde eines Baumes nagt: „Und was ist mit dem? Welches Zeichen will er uns geben?“ Noch bevor wir die erhoffte rettende Unterkunft erreichen, ist das Gewitter vorbei.
Völlig durchnässt erreichen wir die Burgschänke der Burg Hocheppan. Wunderschöner Innenhof, sehr nette Wirte und ein toller Hund empfangen uns. Unter der Ballustrade wechseln wir einmal unsere komplette Garnitur – wir haben ja alles dabei. Der Himmel klart auf und wir wärmen uns bei Tee und Sonnenschein auf. Das schöne Wetter bleibt aber nicht lange. Wolken ziehen wieder auf, wir sollten weiter. Die Wirtin rät uns jedoch von dem Höhenweg ab – in spätestens zwei Stunden soll „wieder heftig was runterkommen“.
Also machen wir uns auf den Weg nach unten mit dem Ziel das Dorf St. Michael zu erreichen. Über gekieste Wanderwege geht es relativ steil hinunter. Immer noch kommen uns Tagesausflügler entgegen, die alle vermutlich die Burg im Blick haben. Über Bergstraßen an Weinhängen vorbei erreichen wir zunächst St. Paul. Laut Wanderschilder sollte der Weg dorthin 1 Stunde 10 Minuten dauern, wir sind zum Glück deutlich eher da. Wir fragen uns ohnehin häufig, für wen diese Zeitangaben eigentlich bemessen sind. Eine Familie, die uns in St. Paul nach der Dauer zur Burg hinauf fragt, ist vermutlich frustriert, als wir „mindestens 1 Stunde“ sagen, im Gegensatz zu den angegebenen 40 Minuten auf einem Wanderschild.
Wir machen eine der vielen Pausen auf einer Bank. Unserem älteren Spross geht es nicht so gut. Wohl was Falsches gegessen. Das trägt natürlich nicht motivierend zur weiteren Weggestaltung bei. Daher entscheiden wir uns in St. Michael auch dafür, die restlichen fünf Kilometer den Bus zu nehmen. Wie war das: alles kann, nichts muss. Wir sind heute schon einmal nass geworden, die Tour von gestern sitzt noch in den Knochen, es reicht für heute.
Erst geht es nach Eppan, dann weiter nach Kaltern am See. Ein wunderschöner Ort, unsere Pension liegt mitten in einer altertümlichen Gasse: Der rote Adler! Wir werden herzlich empfangen (im Outfit der deutschen Fußballnationalmannschaft) und beziehen zwei Zimmer unter dem Dach. Bereits nach kurzer Zeit sieht es aus, wie in einer Jugendherberge: alles hängt mit trocknenden Kleidungsstücken voll.
Jetzt heißt es erstmal: ausruhen.
Als wir um halb sieben aus dem Hotel treten und nur wenige Meter später am Marktplatz einen der letzten Plätze im Restaurant draußen unter einem Schirm ergattern, würden wir nicht denken, dass es gleich mal wieder regnet. Die Bedienung fragt noch, ob wir reingehen möchten, aber wir verneinen vehement. Noch bevor wir überhaupt Getränke auf dem Tisch haben, schüttet es wie aus Kübeln. Doch wir bleiben genauso stoisch sitzen wie acht weitere Grüppchen, die sich nun ebenfalls zusammenkauern, um unter den Sonnenschirmen trocken zu bleiben. Aber es sind halt nur Sonnen- und keine Regenschirme. Wer hat, spannt eben so einen selbstmitgebrachten auf. Und so sitzen die Menschen bei strömendem Regen über ihrem Essen und stören sich gar nicht daran, dass alles durchweicht und sich die Serviette allmählich auflöst. Sobald jemand fertig ist, kommt die Bedienung, wringt die Tischdecke aus und der Platz wird sofort von ebenfalls im Regen Wartenden eingenommen. Wir werden also zum zweiten Mal nass, aber was soll´s. Eine warme Dusche wartet ebenfalls erneut.
Erkenntnis des Tages: auf den Wetterbericht muss kein Verlass sein!
Statistik des Tages: 12 Kilometer, 450 Höhenmeter, 15000 Schritte