7. Wander-Woman und Super-Daddy

Gestern Abend murmelte der Wanderbegleiter neben mir, dass er heute definitiv nicht wandern gehe. Im Halbschlaf wurden dann diverse Alternativen zum Erreichen des heutigen Etappenzieles „Glieshof“ überlegt. Doch am Morgen sieht die Welt schon wieder besser auf. Die Nacht brachte die erwünschte Erholung – es geht allen wieder gut.

Nachdem es gestern nur noch darum ging schnell im Bett zu verschwinden, muss heute Morgen mehr organisiert und gepackt werden. Doch darin sind wir inzwischen wirklich routiniert. Jegliche Kleidung verschwindet im größten Rucksack des Reiseleiters. Kulturtasche, Erwachsenen-Crocs, Tablet, Medizintäschchen und Regenkleidung in meinem Gepäck. Die Kinder tragen jeweils ihre Crocs und ihre Trinkblase plus die Sitzkissen.

Unsere Luxusartikel: zwei Kuscheltiere (Jüngster), Handy (großes Kind), Haar-Styling-Gel, Tablet und Zeitschrift (gehört zu mir), der Reiseleiter verzichtet im Hinblick auf unsere Güter auf etwas Eigenes (er kann ja auch alles mitbenutzen). Insbesondere mein Haarpflegemittel machte ihn gestern Morgen – beim Entdecken – sprachlos. „Was für ein überflüssiges Gewicht!“ Kann auch nur jemand mit wenig Haaren meinen.

Beim Frühstück kommt die Wirtin mit der gleichen Überlegung, wie wir sie schon getätigt haben, auf uns zu. Die heutige Strecke nicht bis ganz zum Ende zu gehen, sondern ein paar Kilometer vor Ende nach links nach Matsch abzubiegen und dort per Wander-Shuttle die letzten Kilometer gefahren zu werden. Genau so, nur andersherum, hat es auch das holländische Paar von gestern berichtet.

Wir bekommen ein Lunchpaket mit Vinschgauer, hausgemachten Kaminwurzer und Schokoriegeln mit. Sehr gut. Denn auch auf dieser Etappe wird sich keine Einkehr finden.

Der Weg startet direkt an der Unterkunft. Es geht zunächst eine Wiese steil hinauf. Mal wieder müssen wir ein Gatter durchqueren – ein Schutz für die Kühe. Doch dieses hier ist so schmal, dass wir kaum hindurchpassen. „Wie gut, dass Du schon ein wenig abgenommen hast,“ ist der Kommentar, der mir vom Allerältesten entgegengebracht wird. Vielen Dank.

Die ersten Kilometer sind etwas unruhig. Erst müssen die Jacken wieder ausgezogen werden, die wir ob der vermeintlichen Kühle heute übergezogen hatten. Dann müssen die „Beine abgemacht werden“. Dann wird jemand gestochen. Steine aus Schuhen entfernt, Sonnencreme nachgelegt werden.

Um 11:30 Uhr machen wir im Schatten von Bäumen unsere erste Rast. Es geht danach wieder ein Stück steil hinauf. Anschließend durch den Wald wieder hinunter. Das erste Mal treffen wir auf eine Kuhherde, der wir es offensichtlich angetan haben. Zunächst ist die Zutraulichkeit ja noch ganz niedlich, doch als die „Leitkuh“ anscheinend Gefallen an uns gefunden hat, läuft sie uns zügig hinterher. Wir werden schneller, sie auch. Die Herde hinter ihr ebenfalls. Jetzt wird es etwas unangenehm. Doch Superdaddy hält die Herde im Zaun, während wir den sicheren Bereich hinter dem nächsten Drehkreuz suchen. Da stehen sie nun und gucken uns hinterher.

Die nächsten Kilometer gehen am Gschneirer Waalweg entlang. Wunderschön inmitten der Bäume und mit glasklarem Wasser. Radfahrer und ein Wanderpärchen kommen uns entgegen. Ansonsten sind wir immer für uns.

An einem traumhaften Aussichtspunkt – „Ortlerblick“ – machen wir unsere große Rast. Essen Vinschgauer und Würstchen. Der Jüngste möchte gerne seine Füße im Waalwasser baden, der Super-Daddy rettet ihn anschließend aus dem Wasser zur Bank, damit die Füße sauber bleiben. Ich habe direkt nach der Pause ein Tief. Wenn ich mich jetzt hinlegen würde, dann könnte ich einfach so durchratzen. Super-Daddy trägt zusätzlich den Rucksack eines Kindes.

 

Wir haben noch einen größeren Anstieg vor uns. 300 Höhenmeter auf circa zwei Kilometer. Alle trinken nochmal, die Rucksäcke wandern wieder auf die Kinderrücken. Steil bergauf muss vor allem ich immer wieder Verschnaufpausen machen. Die Beine ermüden zunehmend schneller. Die Abstände zwischen dem Anhalten werden kürzer. Zur Abkühlung wird das Halstuch in einer Gebirgswassertränke nass gemacht. Es kühlt Kopf und Hände. Auf der Hälfte des Anstiegs habe ich mein Tief überwunden, meine Mundfaulheit abgelegt.

Bei einer Pause fällt dem Jüngsten auf, dass er einen faustgroßen Stein im Rucksack trägt. „Den schleppe ich die ganze Zeit mit mir rum?!?“ „Den schleppen WIR die ganze Zeit mit?!?!“ ist die Antwort der Eltern.

Meiner Vorstellung nach beträgt eine Ideal-Wanderung circa 15 Kilometer und 700 Höhenmeter. Super-Daddy muss natürlich noch einen draufsetzen: 18 Kilometer, 1000 Höhenmeter.

Nach dem Aufstieg machen wir unsere dritte Rast. Zwei Wanderer kommen uns entgegen. Begegnungen sind wirklich selten. Während uns dies im letzten Jahr noch „störte“, genießen wir dieses Jahr unsere Viersamkeit.

Wir wollen auf keinen Fall die Abzweigung nach Matsch verpassen. Es ist nochmal ein Aufstieg durch den Wald und dann über die Wiese zu bewältigen, anschließend geht es auf die ermüdende Straße. Während es bis zu diesem Zeitpunkt feststand, dass der Wander-Shuttle genommen wird, ist es jetzt auf einmal Super-Daddy, der eigentlich noch die restlichen sieben Kilometer zur Unterkunft gehen möchte. Zwar ist mit Blick auf das Bergdorf auf der andere Talseite auch der Weg nach Matsch nicht wirklich motivierend, aber 50 Minuten sind allemal weniger als zwei Stunden. Und anscheinend hat der Herr wohl vergessen, wie es ihm gestern Abend erging. Wir machen doch den gleichen Fehler nicht nochmal!

Ich telefoniere mit dem Shuttle-Service und erfrage die Abfahrtszeit und den -ort. Nein, in einer Viertelstunde werden wir nicht am Wendeplatz sein, aber den Bus um 17:45 Uhr schaffen wir.

Es geht runter ins Tal, anschließend über eine steile Asphaltstraße ins Dorf. Dort erreichen wir um 17:20 Uhr die Haltestelle. Als um viertel vor sechs der Bulli kommt, ist die Haltestelle voll. Mit typisch deutscher Argumentation machen wir unseren Platzanspruch deutlich, letztlich passen alle irgendwie rein. Während wir über die Bergstraße an das Ende des Tals über gewundene Straßen fahren, lasse ich keine Gelegenheit aus dem Superdaddy den parallel verlaufenden Wanderweg zu zeigen, den man „ja auf keinen Fall heute hätte noch gehen können“.

Am Ende des Tals empfängt uns ein Hotel, das im klaren Kontrast zu unserer urigen Unterkunft der letzten Nacht steht. Wie abwechslungsreich doch unsere Übernachtungen sind.

Da die Wanderung morgen „nur“ 4,5 Stunden dauern sollen, sind wir heute etwas entspannter, was das frühe Aufstehen betrifft.

Flop des Tages: der Verlust eines Ohrrings.

Top des Tages: der Bademantel nach dem Duschen.

Unsere Statistik des Tages: 1143 Höhenmeter rauf, 1072 Höhenmeter runter, 21,3 km Gesamtstrecke, 7:37 h Wanderzeit

Empfohlene Regenerationszeit: 16 Stunden

Verbrauch des Tages: 11 Liter Wasser, vier Brötchen, vier Würtschen, 1 Packung Mannerwaffeln, 2 Twix, 1 Mars, 1 Packung Grissinis, 1 Reiswaffel, 3 Blasenpflaster

Erkenntnis des Tages: Alles kann, nichts muss!

 

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